VIDEONALE.scope #2

Scope #2
Chantal Akerman, *Saute ma ville*, © Arsenal, M. Stefanowski

Filmkunst als Beobachtung der Zeit
Werkschauen von Chantal Akerman und Rainer Komers

Veranstaltet im Rahmen von CineCologne

Eine Kurzfilmreihe der Videonale Bonn
Kuratiert von Daniel Kothenschulte

Gemeinsame Eröffnung der CineCologne-Festivals:
Mittwoch, 19.11.2014, 19 Uhr im Filmforum NRW im Museum Ludwig, Köln

Chantal Akerman
Wenn es wahr ist, dass alle großen Filmemacher das Kino neu erfunden haben, dann ist Chantal Akerman dafür das beste Beispiel. Als Teenager sah sie zwei Filme, die ihr Leben veränderten: Jean-Luc Godards „Pierrot le Fou“ erlebte sie wie eine Erweckung. Und nach Michael Snows Avantgardefilm „Wavelength“, den sie 1967 sah, wusste sie, dass sie Regisseurin werden musste. Das Filmstudium, das sie daraufhin begann, schmiss sie bald hin: Dort lehrte man genau den Akademismus, den die blühende Avantgarde längst hinter sich gelassen hatte. Mit 18 nahm Akerman ihre Karriere in die eigene Hand, produzierte mit selbstverdientem Geld den ersten Kurzfilm „Saute Ma Vie“, der in Oberhausen Premiere hatte. Seitdem lässt sich das Werk der Belgierin als beständige Explosion begreifen: Befruchtet in den frühen Siebziger Jahren von einem New-York-Aufenthalt und der Begegnung mit dem blühenden strukturellen Kino und der Art, wie Jonas Mekas und Andy Warhol in ihren Filmen die Zeit einfingen, eroberte sie sich nach und nach alle Spielarten des Films: Zwischen Avantgarde, Dokumentarismus, Autorenfilm, Melodram, Literaturverfilmung und sogar das Musical. Weltruhm errang sie 1975 mit dem episch-experimentellen Drama „Jeanne Dielman – 32 Quai de Commerce“ und zählt heute zu den einflussreichsten Regisseurinnen der letzten vierzig Jahre.

Als Tochter einer Auschwitz-Überlebenden machte sie das Trauma zu einem wichtigen Thema. Einfache Kategorisierungen lehnt sie dabei ebenso ab, wie eine Vereinnahmung etwa durch den Feminismus. Es ist unmöglich, ihr immenses Werk, das sie in den letzten Jahren durch Videoinstallationen in großen Kunstausstellungen wie der Documenta und der Biennale Venedig erweitert hat, in fünf Tagen zu erleben. VIDEONALE.scope wagt dennoch eine Übersicht, beginnend – in originalen Filmkopien – mit den frühen Avantgardefilmen und dem vierstündigen Meisterwerk „Jeanne Dielman“. Erstmals ist auch ihre an den deutschen Kinos vorbei gezogene, imposante Joseph-Conrad-Verfilmung „La Folie Almayer“ zu sehen. Ein besonderer Höhepunkt ist ihr jüngst in den USA erfolgreich wiederaufgeführtes Pina-Bausch-Porträt „One Day Pina Asked“. Und die berührende Osteuropa-Reise „De L’est“ von 1993 lässt noch einmal erleben, wie das Erbe des strukturellen Films, die stumme, beobachtende Bildsprache, den Dokumentarfilm befruchtete. Qualitäten, die auch das Werk ihres Zeitgenossen, Rainer Komers auszeichnen, dem die zweite Werkschau gilt.

Rainer Komers
Mit Rainer Komers lebt einer der Propheten des modernen Kinos in unserem eigenen Land, in Mülheim an der Ruhr um es genau zu sagen. Kein Wunder, dass seine Filme überall auf der Welt bekannter sind als hier. Wie das Werk von James Benning, dem letztjährigen VIDEONALE.scope -Gast, erblüht es an der Schnittstelle zwischen dokumentarischer Beobachtung und jener behutsamen künstlerischen Umformung, die aus der bedächtigen Organisation von filmischer Zeit entsteht: Durch Bildkomposition und Montage. Die Kamera macht Komers selbst.

1944 geboren, studierte Komers zunächst Film an der Düsseldorfer Kunstakademie, später Fotografie an der Essener Folkwangschule. Sein bildnerisches Verständnis, eine Vorliebe für eine asketische Ästhetik, die in der Zurückhaltung einen besonderen Detailreichtum entfaltet, machte ihn zu einer der eigenständigsten Stimmen im künstlerischen Dokumentarfilm. Seine wortlosen Meisterwerke wie das japanische Städteporträt „Kobe“ (2006) und dessen amerikanisches Pendent „Milltown, Montana“ (2009) gehören zu den empfindsamsten Werken ihrer Art und wurden weltweit mit Preisen ausgezeichnet. Ebenso viel Beachtung erfuhr seine Trilogie „Erdbewegung“, die unkommentiert das Leben entlang von mächtigen Straßen durchschnittener Landschaften zeigt: der „B 224“ im Ruhrgebiet, den verzweigten „Nome Road System“ in Alaska und dem indischen Highway „NH 2“. Seine abendfüllenden Dokumentarfilme „Erinnerungen an Rheinhausen“ und „Ofen aus“ wurden zu kunstvollen Dokumenten eines Strukturwandels, der Leben und Landschaften in Nordrhein-Westfalen für immer verändert hat.

Für seinen lyrischen Dokumentarfilm „Lettischer Sommer“ zog es ihn 1993 zur selben Zeit nach Osteuropa, als Chantal Akerman ihr Werk „De L’est“ drehte, den wir am selben Abend zeigen. Beide Filmemacher nähern sich darin Regionen, die radikale politische Umwälzungen erlebten, mit den Mitteln einer filmischen Langsamkeit, die den Proportionen der Zeit weit mehr entspricht als alle Nachrichtenformate. Zum ersten Mal ist nahezu das gesamte Werk von Rainer Komers an einem Ort zu sehen.

Überall auf der Welt, in Alaska, Montana, Ecuador, Indien, Japan oder im Jemen, findet Komers Orte, die ihr Gesicht durch strukturellen Wandel verändern und entdeckt in ihnen auch im Verfall eine ungeformte Schönheit.

Zu den besonderen Entdeckungen dieser Werkschau aber gehören Komers‘ frühe politische Dokumentarfilme wie „Wozu braucht man eine DKP-Fraktion im Rathaus“ (1975) oder „Zigeuner in Duisburg“. Projiziert von originalen Filmkopien, spricht auch aus diesen ungeschönten Lebensbildern ein Überschuss an fotografischer Information, aus dem sich Rainer Komers‘ dokumentarische Filmkunst bis heute speist.

Rainer Komers wird bei den Filmprogrammen zum Gespräch anwesend sein.

Programm Scope #2 im Überblick

Datum
Titel
Genre
Do, 20.11.2014
18:30 Uhr

VIDEONALE.scope #2: Rainer Komers - Büttel

Screening

Büttel, ein Dorf in Schleswig-Holstein, definierte schon Komers Interesse für die Schönheit im Obskuren. 2013 kehrte er an den Spielort seines Erstlings zurück und findet eine merkwürdige, von einem Kernkraftwerk flankierte, gebrochene Idylle. Dazu eines von Komers Meisterwerken, das wortlose japanische Städtegedicht „Kobe“.

Rainer Komers ist zum Gespräch anwesend.

Do, 20.11.2014
22:30 Uhr

VIDEONALE.scope #2: Rainer Komers - Zigeuner in Duisburg

Screening

Rainer Komers’ frühe Dokumentarfilme erfassen den Alltag ihrer Zeit im Bewusstsein, dass er nicht alle Tage bleiben wird. Für die Protagonisten von „Zigeuner in Duisburg“ ist der unwirtliche Lebensraum am Stadtrand, von Komers in strenge Landschaftsbilder gefasst, bereits verloren. Die Arbeiterkultur von Duisburg-Hochfeld sollte in der Zwischenzeit unseligen Sanierungsmaßnahmen weichen. „Die Sterne der Heimat“, inspiriert von Ronald Reagans fatalem Besuch des Soldatenfriedhofs Bitburg, wurde beim Filmfestival Krakau ausgezeichnet.

Datum
Zeit
Veranstaltung
Ort
Genre

Do, 20.11.2014

18:30
VIDEONALE.scope #2: Rainer Komers - Büttel

Büttel, ein Dorf in Schleswig-Holstein, definierte schon Komers Interesse für die Schönheit im Obskuren. 2013 kehrte er an den Spielort seines Erstlings zurück und findet eine merkwürdige, von einem Kernkraftwerk flankierte, gebrochene Idylle. Dazu eines von Komers Meisterwerken, das wortlose japanische Städtegedicht „Kobe“.

Rainer Komers ist zum Gespräch anwesend.

Screening

Do, 20.11.2014

22:30
VIDEONALE.scope #2: Rainer Komers - Zigeuner in Duisburg

Rainer Komers’ frühe Dokumentarfilme erfassen den Alltag ihrer Zeit im Bewusstsein, dass er nicht alle Tage bleiben wird. Für die Protagonisten von „Zigeuner in Duisburg“ ist der unwirtliche Lebensraum am Stadtrand, von Komers in strenge Landschaftsbilder gefasst, bereits verloren. Die Arbeiterkultur von Duisburg-Hochfeld sollte in der Zwischenzeit unseligen Sanierungsmaßnahmen weichen. „Die Sterne der Heimat“, inspiriert von Ronald Reagans fatalem Besuch des Soldatenfriedhofs Bitburg, wurde beim Filmfestival Krakau ausgezeichnet.

Screening
Sie befinden sich hier: Videonale Verein / Projekte / VIDEONALE.scope / Scope #2